Humoreske von Otto Elsner
in: „Viersener Volkszeitung (General-Anzeiger)” vom 3.7.1897,
in: „Rhein- und Ruhrzeitung” vom 28.3.1896 Abendausgabe,
in: „Gladbacher Volkszeitung” vom 4.4.1896,
in: „Remscheider Zeitung” vom 11.4.1896
Wieder war Ostern und wir zum Besuche bei Otto von Trabener, unserm alten, treuen, stets fröhlichen Kameraden noch vom Regiment her. Das schöne Heim desselben erschien uns in Sonne und Glück getaucht. Hier lachte alles wie der eben anpochende Frühling. Die Kinder jubilirten, indem sie mit den bunten Ostereiern spielten, davon naschten oder sie wohl gar übermüthig über den Fußboden rollen ließen. Man erwartete noch mehr Besuch. Die Damen saßen bei Thee und Kuchen in dem großen Familienzimmer, das mit seinen Boule-Möbeln im bequemsten Stile einen so anheimelnden Eindruck machte, während wir Männer uns in das Rauchzimmer des Schloßherrn zurückgezogen hatten, um bei einer würzig duftenden Havannah und einem Glase besten Weines alte Erinnerungen zu beleben oder weiteren Vorkommnissen zu lauschen. Es dauerte nicht lange, so waren wir wieder, wie in den besten Zeiten des kameradschaftlichen Beisammenlebens, unter Scherzen und Necken bei Ottos - Schnurrbart angelangt.
„Ja, dieser Schnurrbart”, sagte er mit selbstgefälligem Schmunzeln... „Euch kann ich es ja offen eingestehen: er ist ein Köder, welcher oft genug bei dem schönen Geschlechte seine Wirkung gethan! Besonders damals, als ich noch Lieutenant und unverheirathet war! Ich hatte aber auch schon die größte Fertigkeit darin erlangt, ihn gehörig zu zwickeln und überhaupt seine Vorzüge in das richtige Licht zu stellen! Aber das köstlichste Abenteuer verschaffte er mir ohne das mindeste Zuthun von meiner Seite, ohne daß ich auch nur eine Ahnung davon hatte! Ein Abenteuer, welches überaus komisch war, wenn es auch, wenigstens für den Augenblick, von der peinlichsten Situation sowohl für mich als auch für die anderen daran Betheiligten begleitet war.”
„Erzähle”, drängten wir.
Otto sah forschend nach der Thür. „Ah, es ist ein Geheimniß?” fragte der Rittmeister.
„Für Euch nicht! Ich weiß ja, daß ich Euch alles anvertrauen kann! Aber ich vernahm soeben die Stimme meiner Frau, und da erscheint es mir denn doch gerathener, daß -”
Er hatte sich nicht getäuscht. Frau von Trabener, eine stolze, schöne Erscheinung, schob die Portieren auseinander, welche dieses kleine lauschige Gemach von der Flucht der übrigen Zimmer trennten.
„Lassen Sie sich nicht stören, meine Herren”, sagte sie. „Ich wollte nur sehen, ob es Ihnen auch an nichts fehlt!”
„Sehr freundlich von Dir, Hedwig,” entgegnete der Hauptmann, die schlanke, schmale Hand seiner Frau zärtlich umspannend.... „Aber wie Du Dich überzeugen kannst, sind unsere Gäste ziemlich gut geborgen!”
Er wies auf die mit Wein gefüllten Gläser, welche vor uns standen, und die leichten, feinen Rauchwolken, welche mit würzigem Aroma das kleine Zimmer parfümirten.
„Ueberdies wollte ich Dir nur sagen,” fuhr sie fort..... „Ich wundere mich, wo Rautens bleiben!... Sie müssen nämlich wissen, meine Herren,” wandte sie sich an uns, „den Baron und seine Frau hat Otto in das Herz geschlossen!.... Die letztere natürlich ganz besonders. -”
Der Hauptmann erhob schelmisch drohend den Finger.
„Nein wirklich!... Ich bin absolut nicht eifersüchtig, Otto! Mit demselben Rechte könntest Du wegen des Barons eifersüchtig sein, welchen ich, wie ich ganz offen bekenne, sehr gut leiden mag! ... Rautens sind in der That prächtige Leute, und ich danke dem Zufalle, welcher sie uns kennen lernen ließ!”
„Ich auch!” sagte der Hauptmann lakonisch, indem er dem Rittmeister und mir einen verständnißinnigen Blick zuwarf. Frau von Trabener nahm diesen glücklicher Weise nicht wahr.
„Kennen Sie die Rautens?” fragte sie uns.
Wir mußten es verneinen.
„Nun, Sie werden innerhalb kürzester Frist Gelegenheit dazu haben!... Ich bin überzeugt, Sie schließen sich unserer Ansicht - Otto's und meiner - dann gar bald an! Inzwischen solltest Du -” sie wandte sich von Neuem an den jetzt wieder völlig ernst dreinschauenden Hauptmann - „den Herren mittheilen, auf wie unverhoffte Weise wir mit dem Baron und seiner kleinen allerliebsten Frau bekannt geworden sind!”
Sie legte die Hand auf seine Schulter. Aber während sie diese zurückzog, streiften ihre Finger, wie wenn sie nicht umhin könnten, die Spitzen des Schnurrbartes.
Der Hauptmann bog den Kopf zurück. „Au, Hedwig!”
„Nun, nun! Es wird nicht so weh gethan haben,” entgegnete sie lachend. Gleich darauf war sie fort.
Der Hauptmann horchte, bis er das Rauschen der schweren seidenen Schleppe stets mehr sich entfernen hörte. Dann erzählte er seine Geschichte: „Es war gerade vor einem Jahre, zu Ostern. Meine Frau hatte im Hause alle Hände voll zu thun. Wir erwarteten ihre Mutter, meine verehrte Frau Schwiegermama. Und da ließ sie es sich sehr angelegen sein, den Beweis zu erbringen, daß sie ihr im Reinemachen und Staubwischen auch nicht um eines Haares Breite nachstehe.”
Der Hauptmann blickte schelmisch auf uns. „Staubwischen, Reinmachen, wißt Ihr, was das für einen verheiratheten Mann bedeutet? Zumal in der Osterwoche und noch dazu, wenn die Frau Schwiegermama in höchst eigener Person nachschauen will, ob auch jede Scheibe blitzblank und jedes Schloß genügend polirt ist!... Brrr!... Ich fühlte mich so unbehaglich, daß ich es Euch kaum schildern kann. Aus allen Zimmern wurde ich vertrieben; es zog durch das Haus, daß ich Rheumatismus bekam. Da fuhr mir ein guter Gedanke durch den Kopf... Hinaus in die frische fröhliche Gotteswelt! Da findest Du Ruhe vor dem Scheuern und Poliren!... Dazu kam ein unbestimmtes Etwas, das mich forttrieb - eine Ahnung: was weiß ich?... Ich gebe Hedwig also einen Kuß, verspreche, recht artig zu sein, und mache mich auf und davon!”
„Wohin ging die Reise”, fragte ich.
„Pah, wenn man in dieser Gegend weilt, doch selbstverständlich an den Rhein!... Obwohl nahe dem herrlichen Strome, empfindet man stets Sehnsucht nach ihm!... So ging es mir denn auch!... Eine Weile schlendere ich am Ufer entlang, wobei ich den trefflichen Weinen nach Gebühr zuspreche, welche überall dort für ein so billiges Geld zu haben sind. Dann, als eben ein Zug kommt, löse ich eine Fahrkarte und steige ein... Es war gerade die Station vor dem Lurley-Felsen, und einige Augenblicke darauf stürzt sich das Dampfroß in den langen, stockfinstern Tunnel, welcher hier durch das Gestein gebohrt ist... Da der Zug nur einige Minuten hielt, hatte ich gerade noch so viel Zeit, in den ersten besten Waggon zu springen. Bei flüchtiger Umschau erblicke ich zwei Personen: einen jungen vornehm gekleideten Mann, der meinen Gruß höflich erwidert, und eine allerliebste, graziöse Dame -”
„Pst!”
Ich war es, der das Signal gegeben. In der Hitze des Gefechts - wollte sagen: im Eifer seiner Erzählung - hatte der Hauptmann das charakteristische Schleppenrauschen überhört.
In demselben Augenblicke schlug Frau von Trabener wiederum die Portieren auseinander.
„Aber, Otto!... Es ist doch wirklich unverzeihlich -”
„Was denn, liebes Kind?”
„Ladet man denn Gäste ein, um sie für sich zu behalten?...”
„Aber Du hast mir ja selbst dazu die Erlaubniß gegegeben!.... Wenigstens so lange, bis ich den Herren erzählt habe, wie wir zu der Bekanntschaft mit Rautens gekommen sind.”
„Bist Du damit denn noch nicht zu Ende!”
„Du kennst ja meinen Grundsatz, liebe Heddi: was ich thue, geschieht gründlich!”
„Meinetwegen denn!” sagte sie resignirt... „Aber dann werden wir doch hoffentlich die Herren zu sehen bekommen!”
Wir verbeugten uns.
Otto nahm die Erzählung von Neuem auf.
„Ich hatte mich kaum gesetzt, als der Zug auch schon in den Tunnel einlief. Aus dem Sonnenglanze des schönsten vorzeitigen Frühlingstages wurde ich mit einem Male in das tiefste Dunkel versetzt.
Nun denkt Euch mein großes Erstaunen! Plötzlich fühle ich mich von zwei weichen Armen umschlungen. Zarte Lippen suchen die meinen, um einen innigen Kuß darauf zu heften.
Dabei ruft eine schelmische süße Stimme:
„Aber Karl, wo hast Du denn Deinen Schnurrbart her?”
Doch in demselben Augenblicke ertönt ein Schrei des Entsetzens... Ich fühle, wie die holde Spenderin des Kusses sich aus der freiwillig gewährten Umarmung losreißt und, soweit es die Dunkelheit und der kaappe Raum verstatten, vor mir flieht. Gleich darauf hatte der Zug den Tunnel verlassen.
Das Sonnenlicht traf die peinlichste Scene, welche man sich denken kann. Aber es bot auch sofort die Erklärung fü¼r den ganzen Vorfall. Die Dame hatte, während ich einstieg, an der anderen Seite des Waggons aus dem Fenster geblickt. In Folge dessen war sie meiner nicht gewahr geworden. In der Meinung, daß sie sich mit ihrem Manne allein im Wagenabtheile befinde, hatte sie, unter dem Schutze der Dunkelheit und sogar angetrieben durch dieselbe, diesen Erguß ihrer Zärtlichkeit stattfinden lassen. Wahrscheinlich saß ihr Gatte noch dazu vorher auf der Stelle, welche ich eingenommen. Dadurch wurde natürlich eine solche Verwechselung nur noch begreiflicher. Purpurroth vor Scham, thränenden Auges stand sie da. Ich entschuldigte mich, so gut es ging.... Der Herr Gemahl schoß zuerst wüthende Blicke.... Aber dann mußte er sich sagen, daß sowohl ich als auch seine junge Frau nicht die mindeste Schuld an dem Irrthume trugen.... Ich stellte mich vor, er that das Gleiche. Und einige Minuten darauf lachten wir insgesammt über das Abenteuer.
Das sind Rautens!..... So wurde ich mit ihnen bekannt!
Noch auf der Fahrt bat mich der Baron, ihn auf seinem Gute zu besuchen. Ich kam der Einladung nach und ließ eine gleiche folgen. Bald schlossen die Frauen Freundschaft mit einander, und heute sind sie beinahe unzertrennlich.
Was den ersten Grund zu dieser Bekanntschaft gelegt, hat Hedwig bisher nicht erfahren!.... Ich werde mich auch hüten, ihr das zu sagen! Aber nun laßt uns zur Gesellschaft zurückkehren!.... Ich wette, die Maiweinbowle steht schon auf dem Tische. Da wollen wir auf das Fest anstoßen und die Freuden, welche es für uns hoffentlich in seinem Schooße birgt! Ueberdies höre ich Stimmen.... Gewiß, das sind Rautens!... Nun urtheilt selbst, ob ich auf mein Abenteuer nicht stolz sein kann!... Und wem habe ich es zu verdanken?... Der Reinemachewuth meiner Frau, die vor Ostern jedesmal das ganze Haus von unterst zu oberst kehrt... und vor Allem - meinem Schnurrbarte!”
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